Lichter für den Frieden
Gedenkfeier zum Volkstrauertag am Sonntag, 13. November 2022, um 17:00 Uhr auf dem Lammplatz Mutlangen
Rede von Silvia Bopp, der Vorsitzenden der Friedenswerkstatt
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder, liebe Bürgermeisterin Esswein,
herzlichen Dank für die Einladung heute hier sprechen zu dürfen.
Heute finden wir uns wieder zusammen, um gemeinsam den Volkstrauertag zu begehen. Der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge hat vor mehr als 100 Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs angeregt einen Tag zu benennen, an dem der gefallenen Soldaten und Soldatinnen, aber auch der Kriegsopfer gedacht werden kann. In diesen 100 Jahren kamen bundesweit Jahr und Jahr Menschen zusammen, manchmal zu Kriegs- und manchmal zu Friedenszeiten.
Heute schauen wir auf die Not in der Ukraine. Im diesem Moment sterben Soldatinnen und Soldaten oder werden schwer verwundet. Der Krieg in Europa hat einen langen Schatten auf unseren Glauben an Frieden und Zusammenhalt geworfen. Als damals in Mutlangen die Mittelstreckenraketen abgezogen wurden und die Entspannungspolitik mit dem Fall der Mauer die Angst vor dem Atomtod rapide reduzierte, begannen wir uns an den Frieden zu gewöhnen. Wir glaubten, der regelbezogene Zusammenhalt der Länder in Europa, aber auch in der Welt schützt vor den Schrecken des Krieges. Wir pflegten die Erinnerungskultur, das Gedenken. Doch auch in diesen Zeiten starben Menschen in Kriegen in Südamerika, Afrika und schließlich auch wieder in Europa mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien. In all diesen Kriegen leiden Kinder, Mütter, Alte und die SoldatInnen.
Diejenigen, die die Kampfzeit überstehen, müssen nicht selten gemeinsam mit Ihren Familien einen lebenslangen Kampf mit dem Kriegstrauma aufnehmen. Die Erinnerung an die Schrecken lässt sie
nachts nicht schlafen.
Ich möchte bei meinem Gedenken heute jeden Krieg ins Bewusstsein rufen. Diejenigen, die weit entfernt wüten, wie der Krieg im Jemen. Die Kriege, die bereits von vielen aufgegeben wurden, wie der Krieg in
Syrien— und die Kriege, in denen das Scheitern des Krieges sich deutlich offenbart hat, wie der Krieg in Afghanistan. Und natürlich die Kriege, in denen die Last der Kriegsschuld das Soldatengedenken tief
beschattet.
Deutschland kennt die Auseinandersetzung mit der kollektiven Kriegsschuld. Nach dem zweiten Weltkrieg wollten deutsche BürgerInnen nichts mehr wissen von der Wiederbewaffnung Deutschlands. Das Gespenst des Krieges ist am besten fernzuhalten, wenn erst gar keine Waffen gebaut werden. Schwerter zu Pflugscharen und die Waffen nieder. Es war ganz eindeutig, der Erhalt des Friedens ist durch Waffenbau, Waffenbesitz und Waffeneinsatz massiv gefährdet. Doch über die Jahrzehnte häuften sich die Argumente für die Waffengewalt wieder. Man musste doch wehrhaft sein und wenigstens sein Land verteidigen können! Man musste doch den BündnispartnerInnen, denen man so viel zu verdanken hat, zur Seite stehen können.
Man musste doch die westlichen Werte verteidigen und gegen Genozide vorgehen können.
Man musste unbedingt solidarisch den Terror bekämpfen.
Und heute unterstützen wir, ohne friedenslogische Bedingungen zu setzen, den Kampf gegen den Angriff des Despoten.
Acht Monate Krieg in der Ukraine haben globale Hoffnungen und Werte zerrüttet und dadurch innovative, friedliche Zukunftsfähigkeit geraubt.
Die lauten Stimmen des Krieges meißeln in Stein, dass es scheinbar unmöglich sei zu verhandeln. Die leisen Stimmen der Angst rufen nach Frieden.
Frieden kann alleine nur durch ein stetiges Verhandeln funktionieren.
Die, die sagen, man könne mit Russland nicht verhandeln, haben aufgegeben an die Methoden des Friedens zu glauben und setzen alles auf die Karte der Kriegslogik.
Wenn unsere Politik heute Waffen in Kriegsgebiete liefert, ohne diese Lieferungen zumindest an die Bedingung zu knüpfen mit der Gegenseite z.B. einen zeitnahen Waffenstillstand zu verhandeln, dann
ermächtigt sie die Kriegsparteien dazu die Regeln zu bestimmen.
Und die Regeln des Krieges sind Kämpfen und Siegen oder Kämpfen und Verlieren.
Die Regeln des Friedens leisten Widerstand gegen den Krieg. Sie verhandeln und haben schlaflose Nächte, um neue Wege zu finden, zugestoßene Verhandlungstüren zu öffnen.
Es geht um sehr viel in diesem jungen Krieg in Europa.
Es geht darum die globale atomare Zerstörung zu verhindern.
Es geht darum Zusammenhalt wieder herzustellen, um der bevorstehenden globalen Klimakatastrophe zu begegnen.
Es geht darum westliche Werte nicht einfach über einen Kamm zu scheren und dafür dann in den Krieg zu ziehen oder mit Milliarden Euros Bollwerke von Massenvernichtungsmitteln aufzurüsten.
Vielmehr sollte es doch darum westliche Werte ehrlich und bewusst zu verstehen und zu leben.
Und zu unseren westlichen Werten gehört es eben nicht nur unsere kapitalistischen, imperialen Vorteile zu sichern, sondern es geht schließlich auch darum die Menschenrechte zu wahren, Demokratie als Staats- und Gemeinschaftsform hochzuhalten, zu schützen und lebendig zu machen- auch im internationalen Dialog.
Es geht auch darum die bereits gelungene Transformation unserer Gesellschaft zu schützen. Dabei denke ich an die errungenen Rechte für Frauen und Kinder und gesetzlich verankerten Schutz von Tieren
und der Natur.
Und es geht auch darum die Freiheit und Diversität unserer Gesellschaft so zu gestalten, dass der individuelle Lebensentwurf insofern verwirklicht werden kann, solange er nicht den Lebensentwurf des Anderen dadurch ruiniert.
Wenn wir diese unsere sogenannten westlichen Werte genau und tiefgreifend betrachten, stellen wir vielleicht fest, dass sie in sich Widersprüche beinhalten. Heute und hier möchte ich dazu aufrufen auf unsere eigenen Widersprüchlichkeiten zu schauen und gemeinschaftlich zu beginnen Dissonanzen und Widersprüchlichkeiten abzubauen.
Lösungen für die Zukunft zu finden, damit wir wirklich authentisch hohe Werte leben und umsetzen können. Dafür sollte unser Mut eingesetzt werden. Dadurch machen wir uns stark, um den
Verhandlungstisch vorzubereiten.
Viele unserer westlichen Werte werden wir ruinieren, wenn wir nicht friedenslogisch vorgehen, alles daran setzen Konflikte zu deeskalieren und versuchen Verhandlungsspielräume zu finden und diese zu
erweitern. Wir sollten nach meiner Meinung alles daransetzen, entscheidende hohe westliche Werte, wie Gerechtigkeit, Freiheit, Menschenwürde und die Liebe zum Lebendigen nicht zu ruinieren.
Opfern wir diese Werte in Kriegszeiten einer blanken Logik des Krieges, so laufen wir Gefahr, dass es nach geraumer Zeit des Leiden und des Mangels schließlich kaum noch einen Unterschied zwischen unserer
westlichen freien Kultur und der des Despoten gibt.