Atombombenabwurf über Schwäbisch Gmünd? Das Gmünder Szenario

77 Jahre nach den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki. Von Dr. med. Helmut Zehender (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, IPPNW Deutschland)

Mit diesem Beitrag soll auf die ungeheure Gefahr eines Atomschlags hingewiesen werden. Insbesondere jetzt, wo wir in der Ukraine einen konventionellen Krieg auf europäischem Boden verzeichnen müssen. In der Vergangenheit wurde gesagt, das „Gleichgewicht des Schreckens“ bewahre den Frieden. Jetzt wird – unter der Drohung, gegebenenfalls auch Nuklearwaffen einzusetzen – ein konventioneller Krieg festgeschrieben.

Wir wissen: Der Einsatz von Nuklearwaffen führt zur Zerstörung von unvorstellbarem Ausmaß – bis hin zur Auslöschung der gesamten Menschheit.

Wir wissen: Nuklearwaffen wirken bei ihrer Anwendung in dreifacher Weise. Durch Wärmestrahlung, durch Druckwellen und durch radioaktive Strahlung – auch weit entfernt vom Ursprungsort.

Die Wärmestrahlung bei der Explosion beträgt im Bereich des Atomdomes 3.000 – 4.000°C. Eisen schmilzt bei ca. 1.500°C, Glas bei ca. 1.600°C. Durch die hohe Temperatur der Wärmestrahlen werden menschliche Körper, Kleidungsstücke und sogar ganze Häuser fast vollständig verbrannt. Es gibt Feststellungen, wonach die Körper einzelner Atombombenopfer, die sich im Hypozentrum aufhielten, restlos verdampft sind.

Die Explosion löst eine ungeheure Druckwelle aus. Diese Stoßwelle von 100.000 bar breitet sich rasend schnell konzentrisch in alle Richtungen aus. Menschen werden weggeblasen, die Haut wird abgeschält, innere Organe zerplatzen. Hinzu kommen die Verletzungen durch umherfliegende Gebäudeteile, über zig Kilometer vom Zentrum entfernt.

Sofort verbreitet sich eine sehr hohe radioaktive Strahlung, die nur von Nuklearwaffen ausgeht. Im Umkreis von 100 – 200 m vom Explosionszentrum entfernt beträgt diese Strahlung das 17.000-fache der natürlichen Strahlung; im Umkreis von 2 km das 4.000-fache. Die hohe Strahlungsdosis tötet Zellen, schädigt Organe und führt zu einem raschen Tod.

Nach der Explosion kommt es zu einem radioaktiven Fall-out, einem Niederschlag von hoch radioaktiven Teilchen. Diese niedrigere Strahlungsintensität schädigt die Zellen, führt zu Erbgutveränderungen und Mutationen und löst bösartige Neuerkrankungen aus wie Leukämie und Schilddrüsen-, Lungen- und Brustkrebserkrankungen.

Erhöhte Leukämieraten traten bei strahlenexponierten Kindern erstmals 5 Jahre nach der Strahlenexposition auf. Bei der Gesamtbevölkerung stieg die Zahl der bösartigen soliden Tumoren nach 10 Jahren an; das Risiko einer Neuerkrankung bleibt lebenslang erhöht.

Das ist die eine Seite, die allgemeine naturwissenschaftliche Aufarbeitung der bekannten Wirkung der Nuklearwaffe.

Zur individuellen persönlichen Erfahrung sei auf den Bericht eines Augenzeugen, Herrn Akihiro Takahashi, verwiesen. Er erlebte und überlebte als 14-jähriger in Hiroshima in unmittelbare Nähe den Atombombenabwurf. Er hat dies in seinem Bericht „Hiroshima mahnt….“ eindrücklich veröffentlicht.

1983 erschien eine wissenschaftliche Untersuchung darüber, welche konkreten Auswirkungen ein Atombombenabwurf über der Stadt Ulm haben könnte. Diese Untersuchung wurde als Taschenbuch: „Tausend Grad Celsius. Das Ulm – Szenario für einen Atomkrieg“ veröffentlicht. Autor war die Ulmer Ärzteinitiative, bestehend aus Allgemeinmedizinern, einem Augenarzt und einem Facharzt für Verbrennungen und Strahlenkunde. Das Ulmer Szenario beschreibt darin verschiedene Teilaspekte der Auswirkung eines Atombombenabwurfs.

Dieses „Ulm – Szenario“ wurde auf die örtlichen Gegebenheiten und auf die Einwohner von Schwäbisch Gmünd und Umgebung übertragen und als „Gmünder Szenario“ benannt.

Was würde geschehen, wenn über dem Zentrum von Schwäbisch Gmünd eine Atombombe gezündet würde? Wer besäße eine reelle Überlebenschance? Mit welchen Verletzungen wäre bei der Zivilbevölkerung, also bei uns, zu rechnen? Würden die Krankenhäuser in der Lage sein, wenigstens die Schwerverletzten zu versorgen? Was wäre mit der Infrastruktur, mit Straßen, Transportmitteln und der Lebensmittelversorgung der Überlebenden?

Das Gmünder Szenario

Eine Atombombe von 1 Mt, das entspricht 1 Million Tonnen TNT, wird über dem Stadtzentrum von Schwäbisch Gmünd gezündet.

Alles im Umkreis von 1,5 km verglüht. Selbst die Oberflächen von Steinen schmelzen. Der gesamte Innenstadtbereich von Gotteszell bis zur Mitte der Lorcher Straße und vom Rehnenhof bis zum Bergschlößle ist verschwunden. Dort, wo das Münster stand, zeigt sich ein tiefer Krater.

Im Umkreis von 4 km fallen alle Gebäude in sich zusammen: vom Ortseingang Hussenhofen und Herlikofen bis zum Sachsenhof, von Mutlangen bis zur Hälfte von Waldstetten. Alle Einwohner in diesem Bereich werden sofort getötet. Und diejenigen, die sich vielleicht in Bunkern aufhalten, versterben in kurzer Zeit durch den Sauerstoffmangel infolge des Feuersturmes und der Brände.

Im Bereich zwischen 4 km und 7 km um das Explosionszentrum werden immer noch 50% der Menschen sofort getötet und weitere 40% schwerstens verletzt. Dieser Bereich reicht von Iggingen und Bargau bis Lorch und von Durlangen und Tierhaupten über Waldstetten bis Weilerstoffel. Die Hälfte aller Häuser in diesem Bereich sind durch die Druckwelle zerstört.

Zeitlich versetzt würde dann bei Südostwind durch den radioaktiven Fallout bis Stuttgart niemand überleben; weiter bis Karlsruhe würden dann von Stuttgart aus 50% aller Bewohner versterben.

Weiter bis in die gesamte Pfalz würden die meisten Bewohner nach einer unterschiedlich langen Strahlenkrankheit überleben.

Bei Südwestwind würde von Schwäbisch Gmünd bis Rothenburg niemand überleben. Weiter bis Schweinfurt würden 50% der Bewohner getötet werden. Weiter bis Magdeburg würden die meisten auch hier nach unterschiedlich schweren Strahlenerkrankungen überleben.

Eine Evakuierung der Bevölkerung ist zeitlich und räumlich nicht durchführbar.

Bei den Überlebenden sind schwere Strahlenschäden und schwere Verbrennungen zu behandeln: dazu ist eine ganz intensive und langwierige Therapie notwendig. Im Raum Schwäbisch Gmünd selbst gibt es dann jedoch die Stauferklinik nicht mehr, eben so wenig können das Ostalbklinikum Aalen und die Virngrundklinik Ellwangen zur Versorgung herangezogen werden. Abgesehen davon gibt es in der Kernzone Schwäbisch Gmünd keine Überlebenden. In den weitläufigen Randzonen wird jedoch eine so große Anzahl von Behandlungsbedürftigen erwartet, dass deren Klinikversorgung unmöglich sein wird.

Wege, Straßen und Brücken sowie Eisenbahnstrecken sind zerstört, so dass das Zentrum und die schwer getroffenen peripheren Gebiete nicht erreicht werden können. Lebensmittel können nicht geliefert werden, noch vorhandene und schwer verletzte Überlebende können nicht transportiert werden. Die Infrastruktur ist zusammengebrochen.

Langfristig führt die Verbreitung der radioaktiven Partikel durch Wind und Wolken zu einer Schädigung auch weit entfernter Gebiete – an die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sei erinnert.

Wer glaubt, einen Atomschlag unbeschadet überstehen zu können, macht sich gefährliche Illusionen. Der Wahnsinn, der in der atomaren Bewaffnung und in jeder nuklearen Aufrüstung liegt, wird in der notwendigen Klarheit sichtbar.

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